EXPERTENINTERVIEW EXPERTENTELEFON \"Darmerkrankungen\" am 14.10.2010

"Darmerkrankungen müssen rechtzeitig erkannt und therapiert werden"

Experteninterview zum Umgang mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) mit Dr. Stefanie Howaldt, Fachärztin für Innere Medizin in einer CED-Schwerpunktpraxis in Hamburg.

 

 

 

 

 

 

 

Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) sind bislang nicht heilbar. Wie verlaufen die Krankheiten Morbus Crohn und Colitis ulcerosa?

  • Dr. Howaldt: Es gibt mehrere Verläufe. Als erstes wird zwischen einer schubförmig auftretenden und einer chronisch aktiven Form unterschieden. Die Schübe können unterschiedlich lang sein - von einem Monat bis zu Jahren. Weiterhin wichtig ist die Unterscheidung, wie aktiv die Krankheit ist. Das reicht von milder über mittelgradige bis hochgradige Krankheitsaktivität.

Beide Erkrankungen können im frühen Alter von 15 bis 30 Jahren auftreten. Gibt es Früherkennungs- und Vorsorgeuntersuchungen, die beispielsweise Jugendliche wahrnehmen sollten, um die Erkrankung rechtzeitig zu erkennen und ihr Fortschreiten aufzuhalten?

  • Dr. Howaldt: Vorsorgeuntersuchungen an sich existieren nicht, dazu ist die Erkrankung zu selten. Man sollte allerdings bei auftretenden Symptomen wie Durchfall und Bauchschmerzen, die länger als einen Monat dauern, einen Arzt aufsuchen. Sehr wichtig ist, dass die Erkrankung dann auch erkannt wird. Wenn z.B. zusätzlich Entzündungszeichen im Blut nachgewiesen werden, sollte eine Darmspiegelung erfolgen.

Wie groß ist die psychische Dimension der Krankheit? Was kann man dagegen tun?

  • Dr. Howaldt: Die psychische Dimension der Krankheit ist sehr hoch, obwohl die Erkrankung nicht durch Stress ausgelöst wird. Es gibt im Leben eines "typischen" CED-Patienten mehrere Phasen, sich mit der Erkrankung und deren Folgen auseinanderzusetzen. Patienten mit CED sollten unbedingt darauf achten, Stress zu vermeiden bzw. zu verarbeiten. Wichtig ist, dass es ihnen im beruflichen und privaten Umfeld "gut geht". Sehr häufig ist eine psychotherapeutische Begleitung von Vorteil für die Patienten.

Gibt es Möglichkeiten, die Erkrankung durch eine bestimmte Lebens- und Ernährungsweise positiv zu beeinflussen? Welche Regeln sollte ein CED-Patient im Alltag beachten?

  • Obwohl viele Ernährungsstudien publiziert worden sind, gibt es keine für CED typischen Verhaltensweisen, die pauschal anwendbar sind. Allerdings kommt der psychischen Gesundheit eine besondere Bedeutung zu - sie sollte daher besonders „gepflegt“ werden.

Kann man als CED-Patient uneingeschränkt reisen?

  • Dr. Howaldt: Jein. Wenn man in einem akuten Schub ist, sollte man Reisen in unterentwickelte Gebiete vermeiden, da dort die medizinische Versorgung nicht gewährleistet ist. Ansonsten gibt es immer die Möglichkeit, eine auf CED-Patienten zugeschnittene Reiseapotheke zusammenzustellen, die es einem erlaubt, auch längere Fernreisen zu unternehmen.

Wie wichtig ist körperliche Aktivität? Gibt es Sportarten, die besonders geeignet sind? Was sollte man lieber lassen?

  • Dr. Howaldt: Wenn es dem Patienten gut tut, ist körperliche Aktivität wichtig und richtig. Die Sportarten sollten individuell gewählt werden, so dass sich der Patient damit wohl fühlt. Es gibt einzelne Ausnahmen, aber prinzipiell ist Sport und Bewegung auch bei CED-Patienten uneingeschränkt möglich. Seit Kurzem gibt es eine Patientenbroschüre, die speziell das Thema Sport behandelt. Sie ist unter www.darmexperte.de zu bestellen.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa?

  • Dr. Howaldt: Sehr viele und sehr gute. In den letzten zehn Jahren sind viele neue, potente und nebenwirkungsarme Medikamente auf den Markt gekommen, die hoffentlich bald das Cortison ablösen können, welches immer noch viel zu viel und viel zu lange eingesetzt wird. Moderne Biologics wie die TNF-alpha-Hemmer können die Entzündung stoppen und schubfreie Phasen ermöglichen.

Biologics sind eine moderne Therapieoption bei CED. Wie wirken sie?

  • Dr. Howaldt: Sowohl bei der Colitis ulcerosa als auch beim Morbus Crohn werden vom Körper zu viele Entzündungsstoffe ausgeschüttet - darunter vor allem der sogenannte TNF alpha. Dieser sorgt dafür, dass sich der Darm permanent wieder entzündet. Die Biologics sind überwiegend TNF-alpha-Hemmer. Das heißt, sie "docken" an der Zelle an und verhindern, dass TNF alpha weiter ausgeschüttet wird. So kann der Darm dann gut abheilen.

Wann wird eine Operation notwendig?

  • Dr. Howaldt: Hier muss man zwischen den beiden Erkrankungen unterscheiden. Bei Colitis ulcerosa besteht die Möglichkeit, den gesamten Dickdarm herauszunehmen, dann ist der Patient quasi "geheilt". Man operiert einerseits, wenn alle medikamentösen Möglichkeiten ausgeschöpft sind und die Erkrankung konservativ nicht mehr in den Griff zu bekommen ist. Andererseits muss man manchmal notfallmäßig Teile des Darms herausnehmen, wenn zum Beispiel ein toxisches Megacolon (Blähdarm) vorliegt und der Patient ansonsten lebensbedrohlich gefährdet wäre. Aber dies tritt zum Glück selten auf. Beim Morbus Crohn muss eine Beschwerden verursachende Engstelle dann operiert werden, wenn sie narbig und medikamentös nicht mehr zu beeinflussen ist. Bei Patienten mit Fisteln, die Abszesse entwickeln, muss der Abszess geöffnet werden.
Quelle: deutsche journalisten dienste (djd),
Gesundheitsthemen